Projekt @home Identität

Nach intensiver Vorarbeit, vielen Gesprächen mit Schulen, Migrationsämtern und weiteren Direkt- und Indirektbeteiligten wurde am 12. April 2017 das Projekt @home gestartet. Unkomplizierte Begegnungen zwischen unbegleiteten, jungen Menschen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und weiteren Ländern und Jugendlichen aus Luzern fanden statt, die fotographisch festgehalten wurden. Ziel des Projektes @home ist, dass sich junge Menschen kennenlernen, gemeinsam in der neuen und alten Heimat Luzern auf Entdeckungstour gehen und sich zusammen mit “Ich und Du”, mit Identität und mit Heimat auseinandersetzen. Wichtig ist uns dabei der Gedanke, dass Heimat nicht bewusst gewählt wird, dass der Zufall bestimmt, wo wir geboren werden, in welcher Kultur und in welchem Glauben wir aufwachsen. Die Künstlerin Irene Naef hat dieses Projekt vorbereitet, durchgeführt und in eine Arbeit umgesetzt, die anlässlich der Ausstellung über Weltethos Schweiz als Tonbildschau präsentiert wurde. Zudem erschien ein künstlerisch gestaltetes Heft mit einem Vorwort von Marco Meier, der heute als freier Publizist tätig ist und früher unter anderem Chefredaktor der Kulturzeitschrift “DU” war.

(Text: Website weltethos.ch.)

Slideshow

Das Enigma der Identität

Von Marco Meier
 
Es gibt zurzeit wenig Begriffe, die medial so breit und offen im Umlauf sind wie das Wort “Identität”. Dessen Bedeutung scheint elastisch zu sein bis zur schieren Beliebigkeit. Argumentativ bewegt man sich mit dem Begriff “Identität” meist auf einem schmalen ideologischen Grat. Rechts und links davon ist die Fallhöhe gleicherweise schwindelerregend. Umso mutiger, dass sich das Lucerne Festival diesen Sommer ausgerechnet die “Identität” zum Thema macht. Der Fächer der benachbarten Begriffe reicht von Heimat über Authentizität bis hin zu Eigenständigkeit, Unabhängigkeit und Autonomie.
 
Politisch und gesellschaftlich greift der Begriff genauso, wie er auch psychologisch im Prozess der persönlichen Selbstfindung trifft. “Wer bin ich und wieviel?” hatte der Zeitgeist-Philosoph Richard David Precht bereits vor Jahren in einem seiner Bücher gefragt. Es gehört zu den psychologischen Auslaufmodellen, dass sich Persönlichkeiten einmal endgültig ausbilden, um dann ein Leben lang unbeirrt dem gleichen Selbstbild nachzuleben. Der moderne Mensch hat multioptional zu funktionieren und sollte sein Leben lang flexibel bleiben, wenn er erfolgreich im Sog einer sich immer schneller wandelnden Welt vorankommen will. So jedenfalls scheint es die Wirtschaft zu fordern.
 
Und spätestens seit der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA wird spürbar, wie sehr sich der Begriff der “Identität” auch anbietet, im Zeitalter der Globalisierung zur Parole populistischer und protektionistischer Politik verdreht zu werden. In Europa schliesslich bangen immer mehr Länder um ihre nationale Identität und ihr kulturelles Erbe – angesichts einer andauernden Migration. Man könnte also leicht dazu neigen, den Begriff möglichst aus seinem Vokabular zu streichen, um nicht in den Ruch zu kommen, selbst mit irgendwelchen nationalistischen Strömungen zu sympathisieren. Begriffe sollte man aber nicht leichtfertig zur Disposition stellen. Hinter jeder Bedeutung tut sich ein weiter Raum kreativer Interpretation auf. Auch Sprache muss als Medium der Verständigung immer neu ausgehandelt werden.
 
Die Künstlerin Irene Naef zeigt mit ihrem Projekt@home IDENTITÄT beispielhaft, wie man sich den interpretativen Raum eines Begriffs gestalterisch aneignen kann, ohne in die Fallen politischer Instrumentalisierung zu tappen. Sie nutzt den Begriff der Identität als Fanal der Offenheit im Austausch zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Sie hat an einem Tag im April die Begegnung zwischen jungen Menschen aus Luzern und gleichaltrigen, unbegleiteten Jugendlichen aus fremden Ländern zum Ausgangspunkt von Gesprächen und gemeinsamen Aktionen über Migration, Heimat, Identität, das Eigene und das Fremde gemacht. Dreifach hat die Künstlerin ihr Projekt@home IDENTITÄT auf den Weg gebracht. Zuerst war da die erwähnte reale Begegnung der jungen Menschen, die sie audiovisuell begleitet hat. Daraus ist eine Tonbildschauentstanden, die im Lukas Zentrum zu sehen sein wird. Die hier vorliegende Publikation schliesslich dokumentiert diesen interkulturellen Austausch als haptisches Werk. Eindrücklich wird auf allen drei Ebenen sicht- und erlebbar, dass Identität Verschiedenheit durchaus erträgt, mehr noch – dass Diversität erst eigentlich gelebte Identität ermöglicht. Oder wie es der Soziologe Claus Leggewie einmal wunderbar formulierte: “Wer sich befreunden will, muss sich befremden lassen.”
 
Grafisch lehnt die Künstlerin Irene Naef die Publikation zum Projekt@home IDENTITÄT an die Gestaltung einer alten Ausgabe der Kulturzeitschrift “Du” an. Damit spiegelt sie den Aspekt der Identität auch formal und lässt quasi durch diese gestalterische Anlehnung die kulturelle Philosophie der 75-jährigen Zeitschrift noch einmal aufleben. Das Pronomen “Du” als Name der Zeitschrift war Programm. Der Gründer und erste Chefredaktor der legendären Zeitschrift, Arnold Kübler, hatte in seinem ersten Editorial 1941 mit dem Pronomen “Du” die Hoffnung und Aufforderung verbunden, man möge auch in Zeiten des Krieges aufeinander zugehen. Im “Du” steckt der Gestus der direkten Ansprache: Du bist gemeint. Du bist uns wichtig.
 
Hier schafft das Projekt von Irene Naef auch wunderbar den Bezug zur Ausstellung der Stiftung Weltethos Schweiz, die vom 16. August bis 30. September 2017 im Lukas Zentrum Luzern gezeigt wird. Sprache und Ethik haben gemeinsam, dass sie einen Raum der Interpretation bilden, der kulturell immer wieder neu verhandelt werden muss. Auch der Theologe Hans Küng hat sein Weltethos nicht als absolute Setzung begründet. Er hat vielmehr der Ethik weltweit gemeinsame Räume der normativen Interpretation und der Verständigung erschlossen. In seinem Buch “Projekt Weltethos” schreibt Küng: “Immer deutlicher wurde mir in den letzten Jahren, dass die eine Welt, in der wir leben, nur dann eine Chance zum Überleben hat, wenn in ihr nicht länger Räume unterschiedlicher, widersprüchlicher oder gar sich bekämpfender Ethiken existieren.”

16. August bis 30. September 2017
Lukas-Saal
Morgartenstrasse 16
6003 Luzern